FRS635 Geschrieben 8. Juni 2022 Melden Geschrieben 8. Juni 2022 (bearbeitet) Hallo, ich bin jetzt fertig mit meiner digitalen Müller und Sohn T-Shirt Schnittkonstruktion und dachte, ich schreib mal auf, wie ich das gemacht hab. Kurze Vorgeschichte: ich näh noch nicht lange, knapp ein 3/4 Jahr. Gekaufte T-Shirts sind mir meistens zu kurz und da ich die oft als Unterwäsche trage auch zu weit. Mein erster Versuch war ein T-Shirt, das ich mochte, 1:1 auf dem Stoff abzuzeichnen. Mit dem hab ich gelernt, dass weite T-Shirts zum Druntertragen nicht optimal sind. T-Shirts Nr 2 und 3 hab ich von einem engen Rolli kopiert, auf Pappen, weil ich nicht wusste, dass das beim ersten (und zweiten …) Versuch nicht klappen würde. Viel Arbeit mit den Pappen und die fiesen Querfalten unterm Hals bin ich nicht losgeworden. Vierter Versuch: MuS Schnittkonstruktion auf Papier von der Rolle. Der erste Versuch hatte wieder ein paar Fehler und weil das Armloch fehlerhaft war, hätte ich fast alles nochmal neu zeichnen müssen. Dazu hatte ich dann keine Lust mehr und fasste folgenden Plan: - Messungen und MuS Berechnungsformeln in Excel - Konstruktion in Autodesk Fusion 360 Mein Ziel war, die Zahlen in Excel einfach ändern zu können, z.B. Messwerte einer anderen Person auszuwählen und die Konstruktion mit möglichst wenigen Klicks anzupassen. Das funktioniert grundsätzlich auch. Natürlich können auch nur einzelne Masse wie Rb geändert werden. Fusion ist für nicht-kommerzielle Privatanwender kostenlos. Wichtige Einschränkung: die Anzahl der Projekte ist auf 10 beschränkt. Eine Konstruktion und die Zeichnung für den Ausdruck sind bereits 2 Projekte. Muss man wissen. Fusion hab ich genommen, weil es ausser “kostenlos” zwei Vorteile hat: - Die Konstruktion ist parametrisch, es gibt Variablen - Es können .csv-Dateien importiert werden. Das sind Tabellen, bei denen die Werte (= Variablen) mit Komma getrennt sind Da ich im Job bereits mit dem grossen Bruder Inventor gearbeitet hatte, war für mich ausserdem die Lernkurve praktisch nicht vorhanden. "Parametrisch" heisst: ich zeichne z.B. eine Linie und bemasse diese. In das Feld für die Länge schreibe ich keine cm-Zahl sondern die Variable "Rb". Wenn sich Rb später ändert (z.B. durch Neuimport der csv), dann ändert sich automatisch die Länge der Linie. Und alle weiteren Konstruktionen, die mit den Endpunkten der Linie verbunden sind, werden entsprechend verschoben. So kann dieselbe Schnittkonstruktion mit unterschiedlichen Masssätzen befüllt werden. Ablauf auf die Schnelle: Im Idealfall würde es so funktionieren, dass man in Excel alle Zahlen fertig macht, diese dann in Fusion importiert und auf Knopfdruck die fertige Zeichnung bekommt. Das klappt so aber nicht, weil die MuS Formeln während der Konstruktion auf die Längen bereits konstruierter Teile zurückgreifen, z.B. die Kugelhöhe auf den Armlochumfang. Der Armlochumfang ist die kombinierte Länge von zwei Kurven. Diese Kurvenlängen bekommt man in Fusion aber nicht ohne Umwege in eine Variable rein. Man könnte hier jetzt ein Add-In programmieren, aber das war mir zu aufwändig. Man kann nämlich einfach auf die Kurve (blau) klicken und die Länge ablesen (violetter Pfeil): Diese Zahl wird dann in die Masstabelle in Excel übernommen, alles neu exportiert (ein Klick) und dann in Fusion neu importiert (nochmal drei oder so Klicks). Ein weiterer Fall sind die Ärmelknipse, etwas komplizierter, aber vom Ablauf her identisch. Der Ablauf ist grob so: - Masse/Variablen als csv exportieren - csv in Fusion importieren - Längen in Fusion ablesen - Im Excel ergänzen und erneut exportieren - in Fusion wieder importieren - für Knipse anpassen/ablesen/export/import Das ist natürlich nicht so elegant wie ein einmaliger Import, hat aber den entscheidenden Vorteil, dass die MuS Formeln ausschliesslich in Excel vorhanden sind. Andernfalls wären die teilweise in Excel und teilweise in Fusion. Nicht so gut. Excel: bestimmt geht das auch kostenlos mit Google Sheets, hab ich aber nicht probiert. Ablauf detailliert: In Excel gibt es im wesentlichen zwei Tabellen: Massnehmen und T-Shirt. Massgenommen hab ich nach der Anleitung von Müller und Sohn hier. So sieht die Tabelle Massnehmen aus: (Die Formeln von MuS sind immer gepixelt wegen Copyright) Wenn ich weitere Variablen brauchte, hab ich mir dafür Kurznamen ausgedacht. AuVT ist also nicht von Müller. Die Werte in Spalte D (violetter Rahmen) sind aktiv. Die werden in der Tabelle “T-Shirt” weiterverarbeitet. Rechts ab Spalte G werden die Messungen erfasst, für jede Person eine Spalte. Wenn man auf den Button “TO MAIN” klickt, werden die Zahlen aus dieser Spalte in die Spalte MAIN übertragen. In der Tabelle T-Shirt werden die Berechnungen dann automatisch angepasst, weil immer auf die Werte in MAIN zurückgegriffen wird. Das Makro auf dem Button “TO MAIN” sieht so aus: Sub copyMeasurementsToMain() Dim b As Object, cs As Integer Set b = ActiveSheet.Buttons(Application.Caller) With b.TopLeftCell cs = .Column End With 'MsgBox "Column Number " & cs Application.ActiveSheet.Range(Cells(4, cs), Cells(50, cs)).Copy _ Destination:=ActiveSheet.Range("D4", "D50") End Sub Das verwendet die aktuelle Spalte, darum kann man den Button für weitere Personen einfach kopieren ohne den Code anpassen zu müssen. Ab Zeile 21 sind T-Shirt Masse gelistet. Warum hier und nicht in der Tabelle T-Shirt? Weil die für jede Person anders sind. Darum werden die zu den Personen gespeichert. Ab Zeile 24 sind die Werte gelistet, die in Fusion abgelesen und übertragen werden. 5 Werte, ist überschaubar. Die “Blockierter Inhalt” Warnung kommt, weil das Excel-Sheet VBA Makros enthält. Kann man generell freigeben, sollte man aber auf keinen Fall. Tabelle T-Shirt: Ein paar Werte sind hier, die gar nicht benutzt werden. Muss ich nochmal aufräumen. Der Button oben rechts aktiviert ein VBA Makro, das die gewünschten Werte in eine weitere Tabelle “export” exportiert und diese anschliessend als “import.csv” auf der Festplatte speichert. Es werden nur die Werte exportiert, die in Spalte C ein Häkchen haben. So kann ich z.B. hier berechnete und gemessene Werte für dieselbe Variable listen und mich dann für die entscheiden, die ich exportieren möchte. Es wäre auch möglich den Block “Zugaben Slim Fit” (ab Zeile 33) nochmal als “Zugaben Regular Fit” zu kopieren und entsprechend anzupassen. Wenn ich dann ein Regular Fit T-Shirt möchte, mach ich die Häkchen bei Slim Fit aus und bei Regular Fit an und exportiere neu. Dafür liesse sich auch schnell ein Makro machen, um ganze Blöcke aus- oder anzuschalten. In Zeile 30 wird die Nahtzugabe angegeben. Die wird in der Konstruktion automatisch zugefügt, wie viel kann man hier einstellen. Ich verwende 0.7cm für die Overlock. Hier die Tabelle “export” mal zum Ankucken, gemacht wird in dieser Tabelle nichts: Das Format wird durch Fusion vorgegeben: Variable / Einheit / Wert / Kommentar. Import nach Fusion: Für den Import von csv-Daten braucht man das Add-In “Parameter I/O”. Ist das installiert, kann ich die oben erzeugte Tabelle importieren: Bei “Change Parameters” (oberer violetter Pfeil) kann ich mir dann die importierten Variablen ansehen und bei Bedarf auch verändern. Der Import klappt übrigens nur, wenn die Werte mit Komma getrennt sind. das heisst auch, dass für den Dezimalpunkt ein Punkt verwendet wird. Ich hab in Excel einiges probiert, aber am Ende hat nur das Umstellen auf englisch geholfen. Darum heisst es hier mal User Parameter und mal Benutzerparameter. Deutsch-englisch-Mischmasch, ist aber dasselbe: Warum gibt es eine Spalte Expression? Man kann Variablen auch durch andere Variablen definieren. Bei Expression könnte z.B. Hs / 2 + 3cm stehen (nur ein Beispiel). Da die Formeln grundsätzlich in Excel existieren sollen, benutz ich das nur für einfache Berechnungen, wie z.B. Hälfte von irgendwas. Würde das alles übers Excel laufen wäre das am Ende sehr unübersichtlich. Konstruktion Schnittkonstruktion ist ja komplett in 2D, das wird in Fusion durch Skizzen/Sketches super abgebildet. Ich importiere meine Variablen, fang eine neue Skizze an und folge der Anleitung von MuS. Dabei hat das digitale Entwerfen ein paar Vorteile. Z.B. der Übergang am Halsausschnitt. Vorderteil: MuS empfiehlt jetzt, VT und RT an der Schulternaht aneinanderzulegen und zu prüfen, ob der Übergang gut ist. Aber wie mach ich das in der Praxis. Die sind nebeneinander auf einem Blatt Papier und ich hab ja auch noch die Nahtzugabe dran… Digital sag ich beim RT einfach, dass der Winkel (180 Grad - Winkel VT) beträgt und der Übergang ist immer perfekt (kann man nicht-digital so ähnlich machen): “d88” ist die interne Variable, die Fusion für den VT-Winkel vergeben hat. Nur mit der Maus drüberschweben und sie wird angezeigt. Wenn ich einen rechten Winkel brauche, sag ich das einfach: Das kleine Symbol (constraint) sagt, dass zwischen dem Anfasser der Kurve (türkis) und dem Stoffbruch ein rechter Winkel ist. Die komplette Skizze: Mit Bemassungen und Constraints sieht das natürlich nicht mehr so clean aus. Den kurzen Ärmel mach ich in einer Extra-Zeichnung, damit ich die Armkugel vom langen Ärmel übernehmen kann. Nahtzugaben sind zwei weitere Skizzen, und dann nochmal drei einfache Skizzen für die Knipse. Die Nahtzugabe ist schnell gemacht: Ich geh auf modify/offset, wähl die Kurven aus, die eine NZG erhalten sollen (blau), und geb im Feld Offset position “NZG” ein. Das ist meine Variable, die die 0.7cm enthält. Wenn ich jetzt die Parameter neu lade und NZG hat einen anderen Wert, dann wird das automatisch angepasst. So sieht derselbe Ärmel z.B. mit 3cm NZG aus: Als ich das eben ausprobiert hab für den Screenshot, kam eine Warnung, dass es Probleme mit der Erzeugung eines Körpers gibt. Das sind so die Tücken bei Fusion, man kann so konstruieren, dass es nicht funktioniert wie gedacht. Da hilft leider nur Erfahrung und mal etwas löschen und neu machen. Manchmal kommt eine Warnung und am Ende ist nix. Man sollte dem jedenfalls immer frühzeitig nachgehen. Zur Zeichnung: Sind die Skizzen fertig, muss man Bodies erzeugen, ich mach eine 1mm Extrusion. Eigentlich überflüssig, aber das Zeichenmodul kann nicht gut mit Skizzen arbeiten und braucht 3D-Geometrie. Hilft nix. Sieht dann so aus: Für den Kragen hab ich auch Knipse gesetzt, das ist das Rechteck rechts in der Mitte. Die Naht ist so hinten in der Mitte… nicht gut. Das muss noch etwas verschoben werden und 2 Knipse dazu. Mit den Bodies ist man schnell fertig und kann eine DIN-A0-Zeichnung erzeugen: Dafür muss man einige Bodies verschieben oder drehen. Das geht aber nicht ohne weiteres. Man erzeugt einen neuen View, macht in dem alle Bodies unsichtbar, die nicht verschoben werden, und verschiebt dann den sichtbaren Rest. Unten links sieht man noch das Comments Feld. Man kann in Fusion mit anderen zusammenarbeiten und sich dann hierüber austauschen. Hab ich aber nie probiert und weiss nicht, ob das in der Personal-Version freigeschaltet ist. Hat man in der Konstruktion nix falsch gemacht, wird die Zeichnung automatisch angepasst, sobald die Konstruktion verändert wird. GANZ WICHTIG: Die Konstruktion nicht als Meilenstein speichern. Ab dann wird die Zeichnung nämlich nur noch upgedatet, wenn man einen neuen Meilenstein erzeugt. Das ist sinnvoll für Teams, aber hier ziemlich nervig. Die fertige Zeichnung druckt man als pdf auf einen Stick und geht damit zum Copyshop. Die drucken das dann am Rollenplotter aus. Das geht schnell und kostet bei mir 9 Euro (6,30 war der billigste, aber der war weiter weg). Unten rechts die 10x10cm Box, da kann man dann noch vor Ort im Copyshop testen, ob alles stimmt. Ich check die Box auch vorher mit Adobe Acrobat (Werkzeuge/messen), um sicher zu sein, dass das pdf korrekt erzeugt wurde. Dann nur noch ausschneiden, Stoff-Zuschnitt und zusammennähen: Hat sich das jetzt gelohnt? Zeitlich nicht wirklich. Trotzdem will ich das so weitermachen, denn den Excel-Kram kann ich auch für andere Projekte verwenden. Und Varianten und andere Grössen sind jetzt schnell gemacht. Wird das passieren? Weiss nicht… Bearbeitet 8. Juni 2022 von FRS635 Formatierung
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