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Konstruktion des Brustzwickels [Maßschneiderei]


eboli

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Vollbuserinnen wie ich (diesmal bleibt das Binnen-i klein ;)) kennen das nur allzu gut, wenn wir einen vorgefertigten Schnitt nach der Oberweite aussuchen:

der Rücken schlabbert, die Schulternaht reicht bis zum Deltoidmuskel, die vordere Mitte klafft im Bereich der Brustpunkte auseinander und am Armloch vorne bildet sich ein riesige Falte. Steckt man diese weg, dann ragt das Armloch viel zu weit in das Vorderteil herein, sodass man Stoff dazu tackern muss. Jaja, unsere FreundInnen von Burda & Co. kennen eben nur B-Körbchen. Zeit also für eine vergleichende Studie unter den Schnittbüchern.

 

Der Grundschnitt eines Vorderteils sieht im Prinzip so aus:

grundschnitt vorderteil2.pdf

Längenmaße und Lage des Brustpunktes entsprechen den individuellen Messergebnissen, auch die Netto-Brustbreite und die Schulterlänge berechnen sich aus den Messergebnissen plus einer kleinen Zugabe. In der Taille kommt man nach diversen Schritten auf ¼ TW plus 1 cm plus Betrag des Taillenabnähers plus Bequemlichkeitszugabe. Das alles ist mit den einschlägigen Unterlagen leicht nachzuvollziehen, weshalb ich mir die Einzelheiten erspare.

 

Das große Fragezeichen für Damen mit Holz vor der Hütte ist aber die Weitenverteilung der Oberweite und der Öffnungswinkel des Konstruktionswinkel für die Brust.

 

Zunächst zur Weitenverteilung:

 

Die meisten Schnittzeichner nehmen als Maß für die OW im Rückenteil: ¼ OW minus 1 cm plus Bequemlichkeitszugabe. Und im Vorderteil: ¼ OW plus 1 cm plus Bequemlichkeitszugabe. Diese Angabe funktioniert zwar bei Männerkörpern und bei Damen mit A- oder B-Körbchen, aber ganz sicher nicht bei größeren Körbchen. Da sich auch die Konfektion und die Schnitthersteller an dieses Prinzip halten, wisst Ihr jetzt, woher unser Dilemma kommt. (Sie mögen in der Hölle schmoren! Oder von Woody Allens Riesenbrust erdrückt werden!)

 

Lediglich Müller & Sohn (17. Auflage) wird bei Maßschnitten realistischer. Und zwar stellen sie zunächst fest, dass sich das Verhältnis von Brust- zur Rückenbreite stark verändert, je größer die OW wird, während der bei ihnen so genannte Armlochdurchmesser (das ist der Abstand vom Armlochvortritt im Vorderteil zum Armlochvortritt im Rückenteil) proportional ziemlich gleich bleibt. (Um klarer zu machen, was gemeint ist: die Oberweite besteht aus der Brustbreite plus der Rückenbreite plus zweimal dem Armlochdurchmesser.)

Sie geben dann eine etwas komplizierte Berechnungsmethode an, aber einfacher ist es, sich die Tabelle anzuschauen.

379223133_mllerweitenverteilung2.jpg.0636ebd96009226f304343ec923c1436.jpg

Wenn man diesen Aufteilungsschlüssel beachtet, kann man sich mit jedem Schnittkonstruktionsbuch das Vorderteil konstruieren, weil sich daraus und aus der Schulterbreite der Schulter-Brust-Zwickel ergibt. Zugegeben, ziemlich brauchbar.

 

Direkter geben es Fernando Burgo (Il modellismo sartoriale, Milano: Instituto Burgo, 2004) und Gerda Gnan (Der gute Schnitt in der französischen Damenschneiderei, Wien: Deuticke, 1961) an:

Burgo schreibt ganz italienisch-schlampig-pragmatisch für die italienischen Größen 40 bis 48 (entspricht in etwa deutsche Größe 36 bis 44): 7,5 cm über dem Brustpunkt soll die Öffnung des Zwickels 2 cm betragen, bei vollerer Brust 3cm.

Gerda Gnan hingegen berechnet die breiteste Öffnung des Zwickels , und zwar bei Oberweiten unter 100 cm mit 1/6 der halben OW minus 1 cm, bei Oberweiten um 100cm mit 1/6 der halben OW und bei Oberweiten über 100 cm mit 1/6 der halben OW plus 1 cm. Beides ebenso brauchbar.

 

Alle drei - Müller, Burgo und Gnan – nehmen mir aber etwas zu wenig Bezug auf die verschiedenen Körbchengrößen, denn wie wir alle wissen, haben oft Frauen mit breiten Oberkörper eher flache Brüste, während volle Brüste ziemlich oft mit einem schmalen Brustkorb einhergehen.

 

Daher geht der Oscar für die Brustzwickelberechnung an:

Bearbeitet von eboli
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A.A.Whife (Designing and Cutting Ladies' Garments, London: Tailor and Cutter, [1969])

(klick)

Dieses Buch ist wirklich herausragend bezüglich der anatomischen Vielfalt, die nunmal unter uns Weiben herrscht, aber leider in einem etwas gespreiztem Englisch geschrieben. Dennoch wärmstens zu empfehlen.

Ab Seite 82 schreibt Whife, dass er sich Gedanken darüber gemacht hat, wie sich der Brustvorsprung auf den gezeichneten Schnitt auswirkt. Er geht davon aus, dass man (siehe graues Profil) die Lage des Brustpunkts nicht nur bezüglich Tiefe (PX), sondern auch bezüglich "Vorsprung" (NP) messen sollte und damit gleich die Faktoren hätte, mit denen der Schulter-Brust-Zwickel gezeichnet werden könnte.

674475714_WhifeSkizze1.jpg.a6c9be845ea58d67cfa69509f408440a.jpg

Zu diesem Zweck dachte er sich eine Messlatte aus, die um den Hals der Kundin gehängt werden könnte (Abb. A) und mithilfe derer man die Maße erhalten würde. (Fig. B5)

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Mir selbst erschien das als ein sehr plausibles Vorgehen: wenn man ein großes Stoffdreieck mit der Höhe PX und der Basis 2 Mal NP wegfalten muss, damit alles glatt anliegt, dann sollte sich diese Falte doch auf zwei Zwickel aufteilen lassen, die die Hälfte davon ausmachen. Das müsste zwei rechtwinkelige Dreiecke mit den Katheten PX und NP ergeben. Die Hypotenuse müsste die Brusttiefe sein. In etwa so:

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Bearbeitet von eboli
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Hier kommt meine Probe aufs Exempel.

 

Zuerst habe ich an meiner Standardpuppe Gr. 42 mit Whifes Methode den Vorbau vermessen (8 cm beim Halsring).

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Dann habe ich der Puppe einen größeren Vorbau verpasst und diesen vermessen (11 cm beim Halsring).

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Anschließend eine Amazonenbrust entfernt und an der Puppe Konstruktionslinien angebracht.

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Dann habe ich ein Stück Bomull mit einem Fadenkreuz mehr oder weniger im Fadenlauf markiert (der Stoff war leider so sehr verzogen, sodass nur die waagrechte Linie korrket gezeichnet werden konnte) und zunächst in der vorderen Mitte angesteckt.

1205105428_versuchwhife4.jpg.9c152c6cb39268ae02d5ff920fab6cde.jpg

Dann den Stoff waagrecht fixiert, den Halsring ausgeschnitten und die Einschnittslinien für die Zwickel angezeichnet. Die schwarzen Stecknadelköpfe zeigen die verschiedenen Höhen der Brustpunkte.

896905088_versuchwhife5.jpg.f19d3c911bee607517c6473b54e70612.jpg

Als nächstes habe ich entlang dieser Linien den Stoff aufgeschnitten und ihn auf beiden Seiten so weit einwärts geklappt, dass er möglichst glatt anlag. Spätestens jetzt habe ich geflucht, dass ich den Stoff nicht vorher fadengerade zurechtgebügelt oder überhaupt Papier verwendet habe, denn jetzt hatte ich auf der flacheren Seite große Probleme mit Verziehen. Als das Ergebnis halbwegs stimmte, habe ich die anderen Zwickelschenkel eingezeichnet, indem ich die Schnittkante durchgepaust habe.

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Schließlich konnte ich den Stoff wieder abnehmen und die freihändig gezogenen Zwickellinien mit dem Lineal nachzeichnen. (Links hatten sich die Stofflagen erst 3 cm über dem Brustpunkt begonnen zu überlappen, daher die zwei Linien.)

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Schließlich die Übertragung der Zwickel auf Papier mit folgendem Ergebnis:

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Auf der rechten Seite weicht das Ergebnis nur 0,2 cm von der theoretischen Annahme ab, auf der linken Seite aber um 0,8 bzw. 1,6 cm. Ich nehme an, dass das durch den verzogenen Bomull bedingt war.

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Bearbeitet von eboli
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Mein abschließendes Fazit:

Whifes Überlegungen gehen im Prinzip auf, auch wenn man einwenden kann, dass der Vorbau am Halsring gemessen, der Zwickel aber vom Schulteransatz weg gezeichnet wird.

Wer sich näher mit den anatomisch korrekten Verläufen der Brustzwickel auseinandersetzen möchte, dem sei nochmals das ganze Buch empfohlen, speziell Kapitel 8. Ich habe hier nur die Basiskonstruktion beschrieben.

Bedenkt man, dass man sich mit dieser Methode eine FBA ersparen kann, so erscheint mir der zusätzliche Messaufwand jedenfalls sehr gering. Mit den gezeigten Hilfsmitteln - zwei Lineale (eines davon mit einem Lot versehen), ein Handmaß, eine Kluppe und ein Spiegel - schafft man das sogar selbst.

Ende. Fin. Fine. The End.

Ring frei für Feedback.:D

Bearbeitet von eboli
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ja Eboli, ich habe schon gelauert... wenn du nur den Winkel bräuchtest: guck mal nebenan, passt das nicht bestens? (davon dann nach den Winkelgesetzen weiterarbeiten, wenn eine Strecke bekannt ist/ gemessen werden konnte, ein Winkel bestimmt werden konnte und ein rechter Winkel mit im Boot ist...)

 

Hobbyschneiderin + Forum - Einzelnen Beitrag anzeigen - Grundschnitt(e) für Deo

 

Falls es stimmen würde, was ich da so vor mich hin gedacht hatte, wie könnte man die Winkel nun am sinnvollsten in die Schnitte einpflegen? (Zweiter

Schritt, ich weiß...

(Große Bequemlichkeitszugabe braucht m.E. kleinere Winkel...)

 

:winke:, Deo

Bearbeitet von deo
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Hihi, an Trigonometrie hatte ich auch schon gedacht, aber mit der habe ich mich schon laaaaange nicht mehr beschäftigt. (Hier müsste ich jetzt einen Smiley mit Lesebrillen hinsetzen.)

Aber zu Deinem Gedanken, sofern ich ihn richtig verstanden habe: die Taillenabnäher sind ja gut hinzukriegen, weil man sie über Winkelsummen oder Fehlbeträge berechnen und notfalls einfach abstecken kann. Der von mit beschriebene Brustzwickel ist davon völlig unabhängig, er betrifft nur die schiefe Ebene von den Schultern zur Brust. (Ich habe im Post 2 noch eine Skizze angehängt, die das zeigt.)

Was Du mit diesem Konstruktionszwickel machst, ist der nächste Schritt. In die Mitte der Schulter verlegen, auf die Seite drehen oder gar (teilweise) mit dem Taillenabnäher zusammenlegen, das geht alles.

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Ja, Eboli, im Einschlafen kam mir das auch: du misst so die Abweichung aus der Senkrechten zum Bp hin von oben her, sehr schön, und sehr nachvollziehbar dargestellt!

 

Wenn man nun nur den Winkelmesser hätte, würde ich es einfacher finden, diesen anzulegen und einen Taillenabnäher "standardmäßig" für sich zu definieren, von mir aus bei mir mit 10°. (Bei mir 2,25cm Breite in der Taille, auf 13,4cm von der Taille bis zum Bp nach oben. Eine andere Frau: konstruiert Grundschnitt oder misst vorhandenen Schnitt mit Winkelmesser einfach aus: Taille bis Bp) Diesen Wert dann von dem gemessenen Gesamtwert abziehen, dann müsste sie das gleiche Ergebnis bekommen, wie du, oder?

picture.php?pictureid=39383&albumid=2444&dl=1313556034&thumb=1picture.php?pictureid=29618&albumid=2444&dl=1297267390&thumb=1

 

Was ich noch meinte:

:)bei ganz eng anliegender nichtelastischer Kleidung (Etuikleid) müsste ein großer Abnäherwinkel erreicht werden,

:)bei lockerer ein kleinerer (Jacke) bis zum

:)Verschwinden bei körperferner Kleidung (Poncho).

 

picture.php?pictureid=39388&albumid=2444&dl=1313556204&thumb=1picture.php?pictureid=39384&albumid=2444&dl=1313556034&thumb=1picture.php?pictureid=39385&albumid=2444&dl=1313556034&thumb=1

(...und das um 6 Uhr früh im Urlaub...:D:D:D)

 

LG, Deo

 

p.s. das hier müsste auch gehen, ist nur schwieriger, die Senkrechte an sich zu finden:

 

picture.php?pictureid=39389&albumid=2444&dl=1313556718&thumb=1

Bearbeitet von deo
noch was eingefallen...
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Genial! Ich habe für die Senkrechte zuerst überlegt, ob ich die Wasserwaage aus dem Keller holen soll, mich dann aber für ein einfacheres Lot entschieden: Karosseriescheibe mit einer Jalousieschnur an das Holzlineal gehängt. Auf den Fotos als senkrechtes weißes Irgendwas zu erkennen.

 

Und entschuldige, dass ich auf die körperfernen Schnitte nicht eingegangen bin. Dein Gedankengang ist richtig.

Bearbeitet von eboli
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Vielleicht könnte man das Lot mit dem Winkelmesser verbinden...

 

Hier hatte ich auch gesagt, was ich für einen Winkelmesser verwende, höchst praktisch: einfach ablesen. Es gingen aber auch 2 Pappstreifen mit markierter Mitte duch einen Musterbeutelklammer oder ähnliches verbunden (es sollte etwas schwergängig sein oder klemmen) und die dann mit Winkelmesser ablesen..

 

Allerdings sind auch noch gute Tipps von Heidi drin:

Wo fängt ein Brustabbnäher an?

 

Also Eboli, da ist nichts zu entschuldigen... ich finde diese Gedanken- und Wissenssammlung genial, Diskussion im besten Sinne...:bier:

 

:winke:, Deo

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  • 3 Wochen später...
  • 1 Jahr später...

Es geht ja eigentlich noch einfacher:

die Öffnung des Brustzwickels entspricht der halben Differenz von Oberweite minus Oberbrustweite. Eigentlich total logisch....:)

Aber immer heften und ausprobieren, denn dabei ist die Brustform und -höhe nicht berücksichtigt!

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Chapeau und WOW!:klatschen:

 

Ich bin ja eher in der "(Zünd)holz vor der Hüttn-Bereich- Fraktion (versteht das jemand? ...Mickymaus-Oberweite), aber vor so viel Fachwissen zieh ich meinen Hut.

Nein, sowas darf doch nicht im Nirwana verschwinden!

Da geht mir auch der Hut hoch.

Gibt es eigentlich sowas wie "Denkmalschutz" oder "Schützenswertes", das nicht gelöscht werden darf, im www?

 

Ciao

Samba

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