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Traurigkeit und Hoffnung


mosine

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Die Geschichte von der traurigen Traurigkeit

 

Als die glutrote Sonne am Horizont dem Tag langsam entschwinden wollte,

ging eine kleine zerbrechlich wirkende Frau einen staubigen Feldweg entlang.

Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln

hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.

Fast am Ende dieses Weges,

saß eine zusammengekauerte Gestalt, die regungslos auf den trockenen,

ausgedörrten Sandboden hinunterstarrte.

Man konnte nicht viel erkennen,

das Wesen das dort im Staub des Weges saß, schien beinahe körperlos zu sein.

Es erinnerte an eine graue aber weiche Flanelldecke mit menschlichen Konturen.

Als die kleine zerbrechlich wirkende Frau an diesem Wesen vorbeikam,

bückte sie sich ein wenig und fragte:

"Wer bist du?"

Zwei fast regungslose Augen blickten müde auf.

"Ich? Ich bin die Traurigkeit." flüsterte die Stimme stockend und so leise,

dass man sie kaum zu hören vermochte.

 

"Ach, die Traurigkeit !" rief die kleine Frau erfreut,

als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.

 

"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit vorsichtig?

"Aber ja, natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast Du mich ein Stück

meines Weges begleitet."

 

"Ja, aber ...", argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du dann nicht und nimmst reiß aus? Hast du denn keine Angst vor mir ?"

 

"Warum sollte ich vor dir davonlaufen ? Du weißt doch selbst nur zu gut,

dass du jeden Flüchtigen einholst. Man kann dir nicht entkommen.

Aber, was ich dich fragen möchte:

Warum siehst du so betrübt und mutlos aus ?"

 

"Ich ... ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit klangloser Stimme.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr.

 

"Traurig bist Du also", sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf.

"Erzähl mir doch, was dich so sehr bedrückt."

 

Und die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören?

Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.

 

"Ach, weißt du", begann die Traurigkeit zögernd, "es ist so,

dass mich einfach niemand mag. Niemand will mich.

Dabei ist es doch nun mal meine Bestimmung

unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen.

Aber jedesmal wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück.

Sie fürchten sich vor mir und meiden mich."

 

Die Traurigkeit schluckte schwer.

"Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich verstoßen wollen. Sie sagen:

Ach was, das Leben ist heiter und fangen an zu Lachen.

Aber ihr falsches erzwungenes Lachen

führt zu Magenkrämpfen. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht.

Und dann bekommen sie Herzschmerzen.

Sie sagen: Man muss sich zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen

in den Schultern und im Rücken, im ganzen Körper. Verkrampft sind sie.

Sie drücken die Tränen tief hinunter und haben Atemnot. Sie sagen:

Nur Schwächlinge weinen. Dabei sprengen

die aufgestauten Tränen fast ihre Köpfe. Manchmal können sie dadurch

nicht mal mehr Sprechen.

Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen,

damit sie nicht fühlen müssen."

 

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen.

"Und dabei will ich den Menschen doch nichts Böses, ich will ihnen doch nur helfen. Denn wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen und zu heilen. Weißt du, wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut, und manches Leid bricht dadurch immer wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh.

Aber nur wer mich zu sich läßt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden erst wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich Ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grellen Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit und ewiger Enttäuschung zu. Ich glaube, sie haben einfach nur unbändige Angst zu weinen und mich zu spüren.

Deshalb verjagen sie mich immer wieder."

 

Dann schwieg die Traurigkeit. Ihr Weinen war erst schwach,

dann stärker und schließlich ganz innig und verzweifelt

und die vielen kleinen Tränen tränkten

den staubigen, ausgedörrten Sandboden.

Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkenen Gestalt tröstend in die Arme.

Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte das zitternde Bündel. "Weine nur, kleine Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst.

Du sollst nicht mehr alleine wandern. Ich werde auch dich von nun an begleiten,

damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt."

 

Die Traurigkeit hörte zu weinen auf.

Sie sah zu ihrer neuen Gefährtin auf und betrachtete sie erstaunt:

"Aber ... aber, wer bist du eigentlich?"

"Ich ...", sagte die kleine und zerbrechlich wirkende Frau und lächelte dabei

wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen, " ich bin die Hoffnung!

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Da steckt viel Wahres drin.

 

Ich arbeite in einem Bereich, vor dem die meisten Menschen zurückschrecken, da er häufig mit Traurigkeit verbunden ist und Außenstehende ihn als "hoffnungslos" empfinden. Immer wieder höre ich: "Wie kann man nur?". Aber ich sehe, wie Traurigkeit UND Hoffnung den Weg der Menschen, mit denen ich arbeite, begleiten. Auch ich begleite diese Menschen ein mehr oder weniger langes Stück ihres Weges und versuche dabei, der Traurigkeit ihren Platz zu lassen, aber der Hoffnung den Rücken zu stärken. Und wenn man es schafft, dass daraus eine "Mischung" entsteht, in der sich derjenige wohl fühlt, dann kann man meiner Meinung nach nicht von "hoffnungslos" sprechen, auch wenn der Ausgang vielleicht traurig ist.

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Hallo,

dankeschön für diese traurig-schöne Geschichte.

Mich fasziniert daran ua, dass die Hoffnung auch so "unattraktiv" aussieht.

Ich habe sie mir gleich abgespeichert. Weißt du, von wem sie ist?

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Eine Geschichte, die eigentlich das Leben schreibt.

Und wenn zu Traurigkeit und Hoffnung noch der Glaube und die Liebe stoßen, dann kann man wohl behaupten:" Das Leben ist einfach nur wundervoll."

Schönen Dank und einen tollen Tag

Monika-Marie

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Ich bin eine bekennende Heulsuse...

-schnipp-

 

es gibt einen Titel, da heule ich immer - ob ich will oder nicht, es laufen mir ganze Tränenbäche... Teddybär 1-4 Kennst Du?

oh Anne, damit hast du geschafft was ich bei der Geschichte noch unterdrücken konnte... ich heule. Aber ich habe da kein Problem mit. Danke dass Du mich an das Lied erinnert hast - das muß ich von zuhause aus mal bei youtube suchen, geht vom Büro aus nicht, aber ich erinner mich so gut dran, dass die Tränen fließen.

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Weißt du, von wem sie ist?

 

Tut mir leid. Der Verfasser ist auf keiner Seite, die ich eben besucht habe, vermerkt. Bei dem Titel der Geschichte öffnen sich 233.000 Seiten :)

 

Vor allem finde ich es wichtig, sich der Traurigkeit, Enttäuschung und auch manchmal der Wut zu stellen, damit man sie erkennt und verarbeitet um sie nachher auch - wie einen überföüsigen Tascheninhalt entrümpeln zu können.

 

Stimmt, Tränen haben reinigende Wirkung. Ich fühle mich leichter danach. Obwohl ich nach aussen eher die harte Schale trage.

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Danke fürs Nachgucken. Die 233 000 haben mich dann doch so herausgefordert, dass ich es auch nochmal versucht habe ;)

Und: Autorin ist wohl Inge Wuthe.

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